Sonntag, 26. April 2015

Die Entzückung am Teilen - Ein rationales Gefühl

Christoph Kappes ist auch deswegen ein so interessanter Beobachter, weil er sich so interessant als Beobachter beschreibt und sich so zur Beobachtung durch andere freigibt. Die Pointe seines Blogposts "Druckstückfremdeln" finde ich, so trivial oder auch seltsam sie für den ein oder anderen erscheinen mag, interessant. Vor allen ein Kriterium, mit dem er sein "fremdeln" dort zu ergründen sucht, das scheint mir ein sehr bemerkenswertes Kriterium. Es geht um die Aussage: "Warum soll ich lesen, was ich nicht teilen kann?". Und ich neige dazu festzustellen, dass sich sehr häufig die Frage in einer noch weiter generalisierten Formulierung stellt: "Warum soll ich mich in etwas engagieren, was ich nicht teilen kann?"

Das erste mal ist mir eine gewisse tiefliegende Logik des Teilens aufgefallen, als ich so 13-14 war. Damals hatten wir als etwas größere Clique alle Amigas - das war weit vor den Zeiten des Internets - und es gab eine gewisse Streetcredibility, wenn man sich per PLK oder sonstwas jeweils die "Sicherheitskopien" der neuseten Spiele und Programme besorgen konnte. Und so war es - wenn man so will - gut für die Eitelkeit, wenn man der erste war der ein Spiel oder Programm hatte und so in seinen Kreisen dann darüber disponieren konnte. So stand zunächst in gewisserweise die Eitelkeit der Weitergabe im Weg. Wenn alle es hätten, wäre ja die Streetcredibility quasi von der Inflation gefressen.
Mit der Zeit wird aber auch klar, dass die Freude über wirklich gute neue Spiele nur in dem Rahmen ausgelebt werden kann, in dem man darüber mit anderen sprechen kann, die ebenso Freude oder Leid an dem Spiel erlebt hatten. Man steht dann vor der Frage: Wie weit möchte ich meine Eitelkeit damit bezahlen mein Erleben nicht mit anderen Teilen zu können und so auf die Möglichkeit verzichten darüber tiefenscharf kommunizieren zu können? Was bringt mir eine gefütterte Eitelkeit? Was bringt mir differenzierte Kommunikation?

Angesichts der Omnipräsens von Kommunikation, ja angesicht der theoretischen Gleichsetzbarkeit von Kommunikation und Gesellschaft, wird auch deutlich wie sehr die eben formulierte Problemstellung Bedeutung hat für die Entwicklung von Mensch und Gesellschaft. Auch wenn man das "rational" leicht erkennen kann, so war ich auch überrascht, dass die dauerhafte Nutzung des Netz neue Erwartungen in Bezug auf Kommunikation schnell - sozusagen "emotional", also ungefragt und unerklärt - zu Anspüchen verdichtet, die da erstmal zu fordern scheinen: Teilbares ist dem nichtteilbaren erstmal vorzuziehen.

Schon lange höre ich regelmäßig über YouTube Musik. Und kann an mir selbst beobachten, dass zwar schon der schnelle Zugriff auf alles mögliche natürlich sehr attraktiv ist, aber selbst bei Liedern die ich als mp3 habe, die höre ich "gefühlt" lieber hinter einer Internetadresse, weil ich diese Teilen kann. Die blosse Möglichkeit zu teilen (selbst wenn ich es letztlich nicht tue) scheint quasi unterbewusst bevorzugt werden. So erlebe ich das auch. Deshalb hat Christophs Post, bei mir diese Gedanken wieder angesprochen haben und in gewisser Weise diese Zeilen hier mitproduziert.

Gut, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, weil sein psychisches System sich sozusagen in Koevolution mit Kommunikationssystemen differenziert (wobei natürlch der Organisamus als Bedingung der Möglichkeit bleibt) , das ist nichts wirklich neues. Und so kann man natürlich auch nicht verwundert sein, dass wir tief in uns sozusagen den "ethischen Imperativ" : „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!“ (Heinz von Foerster) fühlen und in Bezug auf Kommunikationsmöglichkeiten darauf aus sind diese "Zusatzentzückung" durch Kommunikation zu provozieren.

"Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien". Als Niklas Luhmann diesen Satz schrieb war das Netz noch kein Thema. Aber er war natürlich genauso wahr wie heute. Heute ist das Nahfeld in dem wir unsere individuellen Kommunikationen prozessieren, natürlich nicht mehr in dem Maße wie damals räumlich begrenzt, sondern nur noch über die Möglichkeite einen anderen in eine Kommunikation zu verwickeln. Und so können wir das was uns quasi "aus dem Blauen" in unsere Aufmerksamkeit fällt, viel differenzierter mit in Kommunikationen thematisieren. Der lokale Raum in dem die "Weltinformation" sozusagen interaktionell kommunikativ verabreitet wird hat heute viel mehr Möglichkeiten, weil geographisch-räumliche Vorausetzungen dafür quasi weggefallen sind.

Man muss sich schon mit dem Hammer gebürstet haben, um nicht zu sehen warum uns das Netz sozusagen als Mensch so flasht. Sowohl Glücks- oder Horrorflashs sind nachvollziehbar, schon bei den uns heute vorliegenden Möglichkeiten, die ja wie gesagt ansetzen an den Bedingungen unser psychischen Differenziertheit selbst: der Gesellschaft, der Kommunikation. Mit Kommunikationstechnologie scheint der Menschen sich als Mensch, zu fordern genau das anzuerkennen. Das scheint der implizierte Imperativ.

Wie mein Vater mal sagte, als er mir als jugendlichen das Zeitglesen nahebringen wollte und ich ihn dazu stumpf fragte: Warum eigentlich?: "Um Dich mit anderen darüber unterhalten zu können", war die Antwort. Unwahrscheinlich, dass mein Vater damals einen tiefgreifend Philosophischen Gedanken absondern wollte. Aber letztlich tat er genau das. Letztlich ist der Grund (die Basis) unserer Erwartungen in gewaltigem Umfange unsere Kommunikation, nicht die Welt an sich. Selbst über das Ablesen von Messgeräten, über mathematische Beweise, Ideen usw. müssen wir kommunizieren, um von ihnen zu erfahren oder anderen darüber zu erzählen und relevant, bzw gesellschaftlich Wirsam zu machen.

So drücke ich, wie Christoph, meine Verwunderung darüber aus, dass ich eine gewisse emotionale Bevorzugung dessen erlebe was teilbar ist. Und das daraus Ansprüche erwachsen, die sich nicht nur "rational", sondern auch emotional bemerkbar machen.