Dienstag, 27. Mai 2014

Der Unterschied zwischen einem Paradigma der InformationsVerarbeitung und dem der InformationsErarbeitung

Klaus Kusanowsky hat mir eine Frage nahegebracht, die faszinierender nicht sein kann und mit der nur ein gewiefter Soziologe, wie z.B. Klaus, mich auf so entzückende Weise zu verunsichern vermag. Ich bin weit von einer Antwort entfernt, aber ersteinmal nutze ich diesen Text hier, um den Versuch zu unternehmen meine Gedanken zu dieser wunderbaren Frage in eine vorläufige Form zu pressen. Verunsichernd ist diese Frage, weil sie mich schnell auf meine bescheidenen gedanklichen Mittel stösst und entzückend ist sie, weil sie mich von meinem kleinen theoretischen Weiher vor das große Meer der soziologischen und psychologischen Theorie stellt. Also, die Frage ist nun: “Wie kommt die Annahme zustande Gesellschaft würde von Menschen gemacht?”


I. Ein Anpirschen an die Problemstellung

Eine erste Annäherung an eine solche Frage kann davon ausgehen, dass unser Bewusstsein eine Art Interface ist. Ein Interface auf die Komplexität des in einer komplexeren physikalischen Umwelt eingebetteten Organismus. Und dass ein solches Interface beobachtet, mit bestimmten Vorannahmen, mit bestimmten Vorstellungen über die Bedinungen der Möglichkeit von Ich und Welt, also dass es bestimmte Erkenntnistheorien oder Philosophien vorhält, um seine Beobachtungen zu sortieren. Und so gibt es verschiedene Möglichkeiten Kommunikation zu beobachten. Eine traditionelle wäre z.B. Kommuniaktion als ein Informationsübertragungssystem zu beobachten, eine andere wäre Kommunikation als ein System höherer Ordnung zu beobachten, das es Bewusstseinen ermöglicht sich daran zu reiben, sich gegenseitig zu irritieren und inspirieren, um jeweils bewusstseinsinterne Informationen zu erabreiten zu können. Diese beiden Perspektiven sind in ihrem Implikationen äußerst verschieden und ich versuche nun im folgenden diese kurz und provisorisch zu beleuchten.

Angenommen: Das Bewusstsein klebt nicht am Strom seines Erleben, sondern es macht sozusagen in eigenen Operationen Platz für Reflexionen, letztlich um Welt zu konstruieren. Und in diesen Operationen konstruiert unser Bewusstsein aus dem völlig im dunkel verborgenen Klick-Klick-Klick seiner Umwelt (seinem Nervensystem) das Licht der Welt … wenn ich das einmal so pathetisch sagen darf. Wir wissen alle, dass wir zwar das Gefühl haben nach draussen zu gucken und das Gefühl, dass uns sozusagen Licht auf die Hirnrinde fällt, das es da irgendwie hell macht und uns Dinge sehen lässt, aber wir wissen auch alle (wenn wir nur genau genug hinschauen), dass dem nicht so ist, dass unser Blick nicht nach draussen, sondern nach Innen gewendet die Veränderungen in der eigenen Struktur gewendet ist. Wir wissen, dass dieses Erleben von Licht sozusagen ein Konstruktion des Bewusstseins ist. Eine Konstruktion, die getragen wird von einem Nervensystem. Da draussen ist es weder hell noch dunkel, Wellen ob elektromagnetisch oder Luftdruckschwankungen sind weder hell noch dunkel, weder laut noch leise.

Unsere Welt ist konstruiert, auch wenn man das nicht reflektieren muss. Wir möblieren und organisieren unser Bewusstsein mit allerlei Vorstellungen. Und das in rudimentären Zügen gleich vom Start, von der Geburt weg. Z.B. spricht man von einer gewissen “naiven Physik”, die schon bei einem Neugeborenen zu beobachten ist. Ein Baby liegt in einem Bett und sieht auf eine Leinwand. Auf dieser zeigt sich ein schwarzer Punkt, der sich kontinuierlich vergrössert. Früher oder später wendet sich das Kind ab. Es hat sozusagen in seinen Schemata die Hermeneutik inkorporiert: “Etwas wird grösser, dann kommt es wohl auf Dich zu und trifft Dich früher oder später. Weiche besser aus.”. Und so können wir davon ausgehen, dass “naive Psychologien” (Und damit ist nicht Küchenpsychologien gemeint, das wäre schon ein reflektierteres, differenzierteres Phänomen), und sowas wie “naive Soziologien” auftauchen. Wie auch immer diese sich im Laufe der Zeit über Kultur verändern. Jeder einzelne trägt sozusagen bestimmte Erkenntnistheorien vor sich her, mit der er bestimmte Dinge sieht und andere nicht, mit der er die Welt für sich erklären kann, oder auch nicht. Und wenn jemand sagt er benutze keine Erkenntnistheorien, dann ist eben das seine Erkenntnistheorie, mit den entsprechenden Konsequenzen..

In gewisser Weise kann man sagen: All unsere Vorstellungen, seien sie noch so vielfältig, alle beanspruchen sozusagen drei grundlegende Differenzen 1. Die Differenz zwischen Innen/Aussen, mit der “Sachen”, Objekte, Systeme unterschieden werden können 2. Die Differenz zwischen Alter/Ego mit der andere Bewusstseine unterschieden werden können und 3. Die Differenz Vorher/Nachher mit der Veränderungen dieser Dimensionen unterschieden werden können. (vgl. Luhmann)


II. Informationsübertragung und InformationsVerarbeitung

Die Standardvorstellung des Bewusstseins scheint in unserer Kultur so eine Art Rohrpostsystemvorstellung zu sein in der Informationen zwischen Objekten oder Menschen hin und hergeschickt werden kann. Nicht zufällig ist es eines der beliebtesten Metaphern zum Erklären von EDV. Weil wir uns selbst und die anderen in der Welt die längste Zeit so beschreiben. Wir stellen uns Information dann als eine Art Paket vor, dass auf die ein oder andere Weise verschnürt auf Reisen geschickt werden kann oder einfach nur so durch die Luft fliegt.

Das Bewusstsein erlebt zunächst: Man ist irgendwo drin, das nennt man Körper und da guckt man raus. Und es scheint evident, dass es da draußen bunt ist, es scheint, dass die Farben die wir erleben Eigenschaften des Lichts oder wenigstens der Objekte sind, die wir wahrnehmen. Und das wir sie als eine Art Information empfangen und richtig (oder falsch) registrieren.

In diesem Sinne liegt auch die Vorstellung nahe, dass man Informationen irgendwie haben kann, und das man sie im Prinzip wie in einem Rohrpostsystem auch weitergeben kann. Die Tatsache, dass wir uns mit Kommunikation sehr gut koordinieren können, legt eine eben solche Übertragungsidee auch für die Kommunikation nahe.

Ein solches Informationsübertragungsparadigma kann Kommunikation sehr vereinfachen, weil damit relativ vorausetzungsarm bestimmte Erwartungen und Erwartungserwartungen fixiert werden können, die effektive Kommunikation in Gang bringen können. Weil wir alle von Start weg mit mehr oder weniger ähnliche Mechanismen auf unsere Umwelt zugehen, kann einfach gesagt werden: Ok, lass uns nicht über das Wie, sondern nur über das Was des Erlebens reden und man hat so eine voraussetzungsarme und robuste Basis, um Erwartungen und Erwartungserwartungen abzugleichen. Auf die Aufforderung “Gib mir mal das Grüne da” wird sicher nicht die Antwort kommen “Was meinst Du mit Grün? Es gibt da draussen keine Farben.”. Die Tatsache, dass jeder nur sich selbst als einen Indikator für Interaktion mit seiner Umwelt hat und diese Interaktionen mit der Umwelt in Form von z.B. Eigenschaften der Umwelt erlebt werden, macht es möglich sozusagen in der einfachen Kommuikation den Beobachter in Interaktion mit seiner Umwelt als Voraussetzung sozusagen wegzukürzen und gleich von Eigenschaften der Umwelt zu sprechen. Das ist um ein vielfaches einfacher und voraussetzungsloser möglich als gleich von durch Interaktion mit der Umwelt im Bewusstsein emergierten Eigenschaften zu sprechen. Ein solches Wegkürzen des Beobachters, bzw. der Interaktion des Beobachters mit seiner Umwelt macht eine Kommunikation leichtgängig. Statt einer Erklärung der eigenen Perspektive kann man einfach sagen: Mach doch die Augen auf.

Unterstellt wird mit so einem Wegkürzen des Beobachters, bzw. der Interaktion eines Beobachters mit seiner Umwelt dass Eigenschaften an sich, oder eben Informationen an sich da draussen vorhanden sind und quasi nur passiv ertragen, bzw. eben richtig empfangen werden müssen. Letztlich macht uns das zu Befehlsempfängern oder eben Befehlsgebern, je nachdem. Siehe das so wie ich, benutze dieselben Prämissen wie ich, dann siehst Du es auch.

Wir betrachten so Kommunikation sozusagen als ein dem rationalen Geist gefügiges Werkzeug, dass uns passiv ausgeliefert ist, dass durch uns hervorgebracht ist und das wir benutzen uns zu koordinieren. Das ist eine Art sich Kommunikation vorzustellen, quasi als Werkzeug. Und das was mit einem Hammer und einem Meißel machbar ist, das schreiben wir auch nicht dem Hammer und dem Meißel zu. Sondern z.B. uns selbst oder einem Künstler, einem anderen Bewusstsein, das damit arbeitet. Und in so einem instrumentalisierenden Ansatz ist Kommunikation eben Werkzeug und nicht Künstler. Das erzeugende Genie wird dem Künstler (in diesem Beispiel den einzelnen Menschen) vorbehalten (Mögen die Künstler selbst noch so sehr betonen, dass sie nur Vorgefundenes und/oder kulturell geprägtes variieren). Und so erleben die Menschen sich sozusagen als Künstler, die Gesellschaft qua Kommunikation erschaffen. Gesellschaft wird dann folglich verstanden als von Menschen mit dem Werkzeug Kommunikation in Formation gebrachte Menschen.


III. InformationsErarbeitung

Nun kann man das aber auch anders sehen. Denn Kommunikation ist so wie es scheint keineswegs ein Werkzeug wie ein Hammer oder ein Stift. Wie man nicht müde werden darf zu betonen ist Kommunikation eben keine Informationsübertragung. Es gibt da draussen keine Informationen, die einem Bewusstsein zugänglich wären. Es gibt da draussen Unterschiede, die ein Bewusstsein zum Erzeugen weiterer Unterschiede anregen können. Information ist immer Information eines Bewusstseins und kann dort nicht hineinfallen oder dieses verlassen. Es ist uns möglich andere zu ähnliches Schlußfolgerungen zu (ver)führen, aber nie indem wir etwas ominöses wie Information “rüberschicken”, sondern immer nur durch die wie auch immer formulierte Bitte “es” doch mal durch die und die Brille zu beobachten. Es wird keine Information übertragen, sondern eine Aufforderung übermittelt das und das zu berücksichtigen und dies und jenes gerade nicht zu berücksichtigen. Eine Mitteilung ist sozusagen immer auch jemanden dazu anhalten bestimmte Erkenntnistheorien zu vollziehen. Und das versuchen wir mittels Sprache. Und Sprache ist eben kein Werkzeug, sondern man kann es vielleicht eher als ein Medium begreifen in das wir mehr oder weniger differenziert solche Aufforderungen formen können. Aber kein individueller Mensch ist Schöpfer von Sprache, keiner kann diese kontrollieren und vor allem ist nicht wirklich kontrollierbar wie eine noch so mühsam geformte Aufforderung eben genannter Art durch ein anderes Bewusstsein verstanden wird. Es bleibt dabei: Wir haben als Bewusstseine keine Möglichkeit durch Informationsübertragung die Zustände eines anderen Bewusstseins kontrolliert zu spezifizieren (das bleibt eine Kontrollillusion, die natürlich nicht unnütz oder wirkungslos ist). Kommunikation ist keine abgespeckte Form der Gedankenübertragung, was der Begriff Infromationsübertragung in gewisser Weise impliziert.

In so einer Perspektive spielen wir etwas an, das wir vorfinden, das uns verändert und das wir variieren können, etwas das zwischen uns ist und das wir nicht kontrollieren können, ohne das es uns kontrolliert. Kommunikation. Kommunikation ist damit nicht das dem rationalen Geist zur Verfügung stehende Werkzeug (Zumindest nicht in dieser Perspektive), sondern es ist ein eigenes System, das wir als Medium anspielen können, um das unüberbrückbare zu überbrücken, und zwar in dem wir Vorannahmen, Erkenntnistheorien benutzen die uns ein gegenseitiges Verstehen wahrscheinlich erscheinen lassen. Besonders deutlich wird das zugrunde liegende Problem, wenn der Soziologe über doppelte Kontingenz spricht. Mit einer solchen Beschreibung kann verständlich gemacht werden wie Kommunikation im System den daran beteiligten Bewusstseinen Orientierung bieten kann. Und zwar nicht indem sich an Kommunikation beteiligte Bewusstseine auf Information da draussen beziehen, oder Informationen übertragen, sondern indem sie sich als Beobachter beobachten und von ihrer eigenen Interaktionsgeschichte abhängig machen (oder auch lösen) können und so Potenzial für weitere und ggf. differenziertere Beobachtung möglich werden. Im folgenden Teil zitiere ich einen etwas längeren Auszug aus einem anderen Text, der selbst wieder Zitate enthält, der dieses Problem der doppelten Kontingenz aber einigermaßen zu beschreiben vermag. Man mag das überspringen und gleich zu V. übergehen, wenn man mit dem Konzept vertraut ist:


IV. Zum Situation der doppelten Kontingenz

“Am Anfang der Kommunikation steht nicht etwa das Wort, sondern am Anfang steht ein Beobachter, der einen anderen Beobachter beobachtet und das Verhalten des anderen als Mitteilung einer bestimmten Information interpretiert (also seine eigene Information erzeugt) (vgl. Foerster, H. v. (1999). 2x2=Grün., CD 2, Track 1).
„Das heißt, dass im Falle einer mündlichen Kommunikationssituation Ego sich nicht darauf beschränkt, Laute wahrzunehmen, sondern diese auf den Sachverhalt zurückführt, dass Alter seiner Ansicht nach damit etwas sagen wollte.“(Esposito, E. (2002). Soziales Vergessen, S. 15)
Zunächst wird Ego durch die Laute von Alter irritiert (Ego kann einen Unterschied erzeugen). Allerdings kann man an diesem Punkt noch nicht von verstehen sprechen, denn dazu muss Ego die Irritation durch Alter erst als Mitteilung einer bestimmten Information unterscheiden. Das kann Ego nur, wenn es Alter bestimmte sinnvolle Intentionen unterstellt. Die Unterstellungen sinnvoller Intentionen bleiben natürlich für Ego immer mehr oder weniger Spekulationen, aber sie ermöglichen es Ego ein anschließendes Verhalten zu finden und so eine Situation wechselseitiger Unbestimmtheit zu entschärfen. Eine solche Unterstellung, einer von bestimmtem Sinn geleiteten Mitteilung, wird dann in dieser Theorie verstehen genannt und schließt eine Kommunikation ab, an die dann weitere Kommunikationen anschließen können (vgl.ebd).

Daraufhin bleibt Alter die Möglichkeit seinerseits sein Gegenüber auf die Differenz von Mitteilung und Information zu beobachten und sich zu verhalten. Dieses Verhalten kann wiederum auf den Unterschied von Mitteilung und Information hin beobachtet werden usw. Wenn Ego sinngeleitet beobachtet, dann bleibt er also nicht am Strom reinen Erlebens kleben, sondern er kann z. B. das wahrgenommene Kopfschütteln von Alter als Unzufriedenheit deuten und davon absehen es als spastische Zuckung, oder Entspannungsübung zu interpretieren.
„Aus einer Kommunikation werden dann weitere Kommunikationen erzeugt, die jeder auf seine Weise versteht oder missversteht.“ (ebd)
Für all das benötigt man selbstverständlich die Beteiligung von Bewusstseinssystemen, die sich gegenseitig wie beschrieben beobachten und dies nicht aus irgendwelchen Gründen unterlassen. Entscheidend ist hier, das ein System aus Kommunikationen etwas anderes ist, als die Systeme aus Gedanken, die diese tragen. Kommunikationssysteme gehören zur Umwelt von Bewusstseinssystemen. Sie sind vielmehr unerreichbarer Erkundungshorizont und bieten als solcher immer neue Anlässe für eigene Gedanken (vgl. ebd.: S. 16). Um das zu verdeutlichen, kann man darauf verweisen, dass jeder schon mal die Erfahrung der Inkommunikatibilität gemacht hat:
„[. . .] das Gefühl, über etwas nicht sprechen zu können, ohne es zu verdrehen und in etwas ganz anderes zu verwandeln (das Musterbeispiel ist hier bekanntlich die Kommunikation von Ehrlichkeit).“(ebd.: S. 16)
Diese Ausgangslage kann mit Luhmann in ein Konzept der doppelten Kontingenz übersetzt werden.
„[Doppelte Kontingenz wird wirksam] [. . .]sobald ein Sinn erlebendes psychisches System gegeben ist. Es begleitet unfokussiert alles Erleben, bis es auf eine andere Person oder ein soziales System trifft, dem freie Wahl zugeschrieben wird. Dann wird es als Problem der Verhaltensabstimmung aktuell. Den Aktualisierungsanlaß bieten konkrete, wirkliche psychische oder soziale Systeme oder Spuren (z. B. Schrift), die solche Systeme hinterlassen haben.“(Luhmann, N. (1987). Soziale Systeme, S. 151)
Wenn also zwei Bewusstseinssysteme in einer Situation gegenseitiger Beobachtung kontingent handeln, also jedes auch anders handeln kann und jedes dies von sich selbst und dem anderen weiß und in Rechnung stellt, dann verdoppelt sich die Kontingenz und es ist „[. . .] zunächst unwahrscheinlich, dass eigenes Handeln überhaupt Anknüpfungspunkte (und damit: Sinngebung) im Handeln anderer findet.“(ebd: S. 165)

Man kann das als eine einfache Grundsituation sehen, in der diese beiden Systeme, die für einander jeweils eine Black Box sind, aus irgendwelchen Gründen etwas miteinender zu tun bekommen. Jedes einzelne Bewusstseinssystem bestimmt sein eigenes Verhalten immer durch komplexe, selbstreferentielle Operationen innerhalb seiner eigenen Grenzen, und das was von ihm außerhalb seiner Grenzen sichtbar wird, ist deswegen notwendig die Reduktion eines anderen Beobachters (vgl ebd: S. 156).
„Deshalb bleiben die Black Boxes bei aller Bemühung und bei allem Zeitaufwand [auf der Ebene der eigenen Systemoperationen] [. . .] füreinander undurchsichtig.“(ebd.)
Luhmann dazu:
„Zugleich mit der Unwahrscheinlichkeit sozialer Ordnung erklärt dieses Konzept aber auch die Normalität sozialer Ordnung; denn unter dieser Bedingung doppelter Kontingenz wird jede Selbstfestlegung, wie immer zufällig entstanden und wie immer kalkuliert, Informations- und Anschlusswert für anderes Handeln gewinnen. Gerade weil ein System geschlossen-selbstreferentiell gebildet wird, also A durch B bestimmt wird und B durch A, wird jeder Zufall, jeder Anstoß, jeder Irrtum produktiv.“ (ebd.: S. 165)
So kann man sich konkret vorstellen, dass sich zwei Unbekannte zunächst wechselseitig z. B. auf Situationsdefinition, sozialen Status oder Intentionen usw. hinweisen (vgl.ebd.: S. 184).

Damit beginnt dann „[. . .] eine Systemgeschichte, die das Kontingenzproblem mitnimmt und rekonstruiert. Mehr und mehr geht es daraufhin dann im System um eine Auseinandersetzung mit einer selbstgeschaffenen Realität: um Umgang mit Fakten und Erwartungen, an deren Erzeugung man selbst beteiligt war und die sowohl mehr, als auch weniger Verhaltensspielraum festlegen als der unbestimmte Anfang.“(ebd.:, S. 184)

Anders formuliert, die Mannigfaltigkeit von möglichen Mitteilungen wird durch Kommunikationssysteme in eine Sequenz von aufeinander wirkenden Kommunikationen gebracht, die sich an bestimmten Erwartungen und Themen orientieren und dadurch im Verlauf ihrer Geschichte sehr unwahrscheinliches Verhalten der beteiligten Bewusstseinssysteme wahrscheinlich und erwartbar machen können.

Unter solchen Umständen erzeugen Bewusstseinssysteme auf ihrer eigenen Interaktionsgeschichte eine ausreichende Vorhersagbarkeit für eine gemeinsame Verhaltensabstimmung (vgl. ebd: S. 156). Das Kommunikationssystem, das so entsteht, kann dann durch selektiven Rückgriff auf die eigene Interaktionsgeschichte, Offenheit für Beliebiges gegen Sensibilität für Bestimmtes eintauschen, und umgekehrt (vgl. ebd: S. 185).

In diesem Modus können wechselseitige Unterstellungen bzw. Erwartungen zu komplexen Mustern verknüpft und in eine Situation doppelter Kontingenz hinein projiziert werden. In der Form von Semantiken und Erwartungen kann die jeweilige Unsicherheit gegenüber einer offenen Zukunft gemeinsam absorbiert und für weitere Operationen nützlich gemacht werden (vgl. ebd.: S. 158 f). Im extremen Fall von hoch elaborierter Kommunikation, z. B. in Organisationen, werden komplexe Muster gemeinsamer Erwartungen sogar zur Bedingung der Möglichkeit von weiterem Verstehen.
Die Situation von doppelter Kontingenz ist nicht nur selbst komplex, sondern sie provoziert die Emergenz eines Systems aus Kommunikationen; ein System das eine eigene Ordnung im nacheinander seiner Operationen ermöglicht und so selektiv eine eigene Komplexität aufbauen kann (vgl. ebd: S. 148-191).

Entsprechend wird in der modernen Literatur über Humanoidenevolution betont, dass der Zweig der in Richtung Mensch evoluierenden Primaten nicht durch die Probleme im Umgang mit der „äußeren“Natur provoziert wurde; sondern das Evolution provozierende Problem wird vielmehr in den Anforderungen eines sozialen Feldes gesehen. So geht man davon aus, dass sich die kognitiven Fähigkeiten des menschlichen Bewusstseins im Umgang mit den Dilemmata sozialer Situationen entwickelt haben (vgl.Luhmann, N. (1999). Die Gesellschaft der Gesellschaft., S. 192 f).

Die Herausforderung des sozialen Feldes kann man nun ganz allgemein beschreiben als eben das Problem doppelter Kontingenz.
„Der Ausweg aus der damit angezeigten Herausforderung liegt in der gleichzeitigen Entwicklung von extremer Sozialabhängigkeit und hochgradiger Individualisierung, und das wird erreicht durch den Aufbau einer komplexen Ordnung sinnhafter Kommunikationen, die dann die weitere Evolution des Menschen bestimmen.“(ebd.: S. 192 f)
Bewusstsein gewinnen also Vorteile daraus, dass sie sich nicht von einfach in der Umwelt gegebenen abhängig machen, und auch nicht dadurch dass sie sich direkt voneinander abhängig machen. Sondern sie gewinnen Vorteile daraus, dass sie sich von einem gemeinsam erzeugten System höherer Ordnung abhängig machen. Und das ist für mscnhscliches Bewusstsein das Kommunikationssystem Gesellschaft Gesellschaft. (vgl. ebd., S. 193)

Mit Kommunikationssystemen gewinnt dann die Umwelt von Bewusstseinssystemen deutlich an Möglichkeiten Welt zu beobachten. Plötzlich kann eigenes Beobachten von fremdem und fremdes Beobachten vom eigenem Verhalten abhängig gemacht werden. Kommunikationssysteme setzen in diesem Sinne hohe und ganz neue Ansprüche an Ordnungsfunktionen oder Wirklichkeitskriterien eines Bewusstseinssystems, um eigenes Verhalten sinnvoll zu koordinieren. Der bloße Gehorsam einer Aufforderung zu folgen reicht ab einem bestimmten Differenzierungsgrad der Gesellschaft nicht mehr aus, weil schlicht nicht für alles entsprechende Befehle gegeben werden können. Solche Ordnungsfunktionen übernehmen in dieser Theorie das Universalmedium Sinn und die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien. Aber das ist eine andere Geschichte.”


V. Vorläufiges Fazit

Entscheident finde ich, dass es einen großen Unterschied macht, in welchem Paradigma, mit welcher Erkenntnistheorie man sich selbst, den anderen und Kommunikation in der Welt vorstellt. Ich wage es verkürzt so zusammenzufassen, dass ein Informationsübertragungsparadigma eine Tendenz zum Totalitären hat, weil sie sich letztlich auf die eine objektive Welt bezieht, die man entweder richtig oder falsch beobachten kann. In so einem Paradigma liegt es nahe Gesellschaft aus Menschen bestehend zu sehen, die diese Gesellschaft erschaffen und entsprechend richtig beobachtende Menschen zu achten und falsch beobachtende Menschen zu mißachten, weil diese letztlich als subversiv, als schädlich, als ein Risiko betrachtet werden müssen. In so einem Paradigma sind Unterschiede zwischen den Menschen, die Information so “nur” verarbeiten und “richtig” weitergeben sollen tendenziell eine Bedrohungen.

In einem Paradigma, das Bewusstseine nicht als InformationsVerarbeitende, sondern als InfoamtionsErarbeitende Systeme betrachtet entstehen andere Erwartungen. Es entsteht garnicht erst die Erwartung, dass Informationen schlicht weitergegeben werden können, auch wenn die offensichtliche Nützlichkeit einer solchen Kontrollillusion nicht geleugnet wird. Man kann nur zusätzlich einen Blick für die Risiken gewisser “Monokulturen” bekommen, die das Überziehen einer solchen Kontrollillusion mitsichbringen kann. Einzele Menschen sind in einem solchen Paradigma der InformationsErarbeitung nicht Rädchen im großen Getriebe der Gesellschaft, die ihre Aufgabe richtig zu erfüllen haben, sondern jedes Bewusstsein, das letztlich seine eigene Welt erzeugt ist potenziell in seinem Unterschied zu anderen eine Bereicherung möglicher Beobachtungen. Man feiert die Vielfalt, weil sie immer neue Möglichkeiten bietet zu lernen und man erträgt deswegen die Schwierigkeit eines solchen Ansatzes. Die Schwierigkeiten, die darin bestehen, dass die Erhöhung der Vielfalt ein umso mühsameres und behutsameres Reduzieren von Möglichkeiten erzwingt, mit immer vorausetzungsreicheren Argumentationen und damit verbunden anspruchsvolleren Plausibilitätsprüfungen, um gesellschaftlich und individuell handlungsfähig zu bleiben. Das ist der Preis für ein agileres, anpassungsfähigeres und robusteres System aus Kommunikationen. Und wir verwechseln uns auch nicht mehr so leicht mit einem solchen System aus Kommunikationen, weil wir direkt beobachten können, dass wir dieses System nicht kontrollieren können ohne uns selbst von diesem System kontrollieren zu lassen. Da ist etwas zwischen uns, dass nicht wir sind, das wir nicht kontrollieren können, das uns aber Koordination ermöglicht und dessen Potenzial für Fluch oder Segen davon abhängt wie wir es beobachten und wie wir uns von diesem kontrollieren lassen, bzw nicht-kontrollieren lassen.

Anschließender Dialog mit Klaus.