Donnerstag, 9. Juni 2011

Geteiltes Ganzes

Eine wirklich irreführende und merkwürdige Eigenschaft unseres Denkens und der Art wie wir Kommunikation verstehen, bzw. damit umgehen, ist, dass wir jedes Teil als ein Ganzes denken können, das wiederum teilbar ist. Und wir können auch jedes Ganze als ein Teil eines grösseren Ganzen verstehen. Beide Richtungen der Abstraktion bleiben offen.

Eine solche Unterscheidung, auf die hin man vieles, wenn nicht alles, beobachten kann, findet man in der Theorie z.B. als Sinndimension, als Schmematismen, als Archetypen, als what ever... bezeichnet und beschrieben. Natürlich sind die genannten theoretischen Begriffe nicht gleichbedeutend, sondern es sind unterschiedlich stark generalisierte Denkmodelle, an unterschiedlichen theoretischen Baustellen. Gemein ist diesen Konzepten allerdings, dass sie versuchen eine Form des Denkens, bzw. kommunizierens zu beschreiben, ohne damit gleich den Inhalt festzulegen. Im Folgenden versuche ich mich kurz mit den Grenzen der Unterscheidung von Ganzem/Teile  zu beschäftigen und einen Zusammenhang mit der Unterscheidung Innen/Aussen gedanklich auszuloten, indem ich beides als eine Art Schematismus (Stichwort Schematismus bei Wikipedia) beschreibe. Beide Unterscheidungen scheinen in unserem Denken auf eine bevorzugte, aber kontingente Weise übereinandergelegt zu werden. Insofern nämlich, dass Teile gern in einem räumlichen Inneren eines Ganzen gedacht werden. Was von aussen als Ganzes erscheint, besteht im inneren aus Teilen. Und so wird in einem solchen räumlichen Denken gern übersehen, das es nicht Teile sind, die einem System Stabilität verleihen, sondern, dass es Prozesse (der Selbstorganisation) sind, durch die ein System seine Grenzen aufrechthält. Wenn man sagt: Ein System bekommt seine Form durch Prozesse verliehen, dann geht es bei der Unterscheidung von Innen und Aussen nicht mehr eindeutig, um ein räumliches Innen/Aussen und auch nicht mehr um eine räumliche Ganzes/Teile-Unterscheidung, sondern um operative Zusammenhänge. Das sprengt aber unser gewohntes räumlich-transitives Denken.

Ganz augenscheinlich ist unser Alltagsdenken objektorientiert und unterstellt in einer Art euklidischen Geometrie einen dreidimensionalen Raum in dem es Objekte gibt, die ein Innen und ein Aussen haben und entsprechend transitiv (Transitivität, Wikipedia) verschachtelt gedacht werden. Schon die alten Griechen haben sich diese dreidimensionalen Gestalten in ihrer Wahrnehmung mit ihrem Innen und Aussen vorgestellt, als aus Atomen, also kleinsten Teilchen, bestehend. Es wird über die Wahrnehmung hinaus eine “Ganze/Teile-heit” der Objekte nach Innen, unterstellt, bis zu einem Punkt an dem man sagte:”Kleiner gehts nicht.”. In der euklidischen Geometrie heisst es: “Ein Punkt ist, was keine Teile hat” (Euklidische Geometrie, Wikipedia ) und entsprechend bezeichnet das Wort Atom etwas nicht weiter teilbares.

Kommunikation im allgemeinen, mit ihren Subjekten und der durch sie provozierten Unruhe, ist noch verführerischer, weil sie ständig dazu anregt immer weiter zu fragen. Man kann bezweifeln das Atome unteilbar sind, selbst wenn man damit das Wort seiner ursprünglichen Bedeutung enthebt. Man kann bezweifeln, dass ein Individuum nicht teilbar ist, auch wenn das deutlich gegen den Wortsinn läuft. Man wird dazu verführt etwas als “Einheit” zu bezeichnen und diese Einheit nach innen und nach aussen eingebettet in einem Ganzes/Teile-Zusammenhang zu verstehen. Es scheint gerazu so zu sein, dass man nichts bezeichnen kann ohne ein Eingebettetsein in ein grösseres Ganzes zu implizieren. Man sagt z.B.”Universum”, versucht damit eine Einheit von allem was man sich vorstellen kann zu bezeichnen und produziert doch nur eine Differenz. Dadurch, dass wir uns das Universum als räumliche Einheit vorstellen, stellt sich sofort die Frage:”Was ist denn ausserhalb dieses als Einheit abgegrenzten Raumes?” Man kann sich schlicht keinen Raum vorstellen, der nicht wieder in einem anderen Raum eingebettet ist. Etwas das Grenzen hat impliziert damit immer ein Jenseits der Grenzen. Für die Griechen muss es einigermaßen erleichternd gewesen sein zumindest in die Richtung der Teile einfach irgendwann ein Atom, bzw. Punkt setzen zu können. Es wird eine Art Erklärungsprinzip , also eine Art Stopmarkeirung gesetzt, wo der Schematismus unserer Beobachtung in quasi infinitem Regress fortgesetzt werden könnte. Die Mathematik zeigt uns aber, dass eine Teilung logisch immer einen Rest übrig lässt, der wiederum geteilt werden kann und das ein solcher Vorgang der Teilung unendlich oft vollzogen werden kann. In diesem mathematisch-logischen Sinne scheint es kein wirkliches entrinnen aus diesem Denkmuster zu geben. Um diesen Prozess letztlich sinnvoll abzubrechen, damit irgendetwas für den Moment nachvollziehbar formuliert werden kann, deduzieren wir Erklärungsprinzipien, bzw Weltbilder in unserem Denken, die uns einen gewissen Halt geben (die zumindest, wenn sie soziale Resonanz induzieren, eine Art kollektive logische Latenz erzeugen und so einen gewissen Widerstand bieten, der es ermöglichst Halt unter die Füße zu bekommen, der es ermöglicht eigene Mitteilungen nicht aus dem Nichts heraus erfinden zu müssen (keiner würde diese verstehen), sondern, abgestimmt auf ein Weltbild, auf voraussetzbare Erklärungsprinzipien, kann man die Verstehbarkeit eigener Mitteilung besser kontrollieren (und wenn man besonders gut ist, dann kann man sogar mithelfen neue, gangbare und nützlichere Erklärungsprinzipien zu etablieren.))

Durch unsere Wahrnehmung werden wir immer wieder auf eine quasi-euklidische, dreidimensionale Raumvorstellung zurückgeworfen, in der Ganze und Teile ineinander verschachtelt sind und deren Positionen eindeutig angebbar sind. Allein diese Evidenz scheint grossen Halt zu geben, an dem Kommunikation sich festmachen kann. Halt, der vor allem intellektuell weniger voraussetzungsreich ist als Erklärungsprinzipien, weil eine räumlich-transitive Ordnung sozusagen auf der Hand liegt und ohne grossen Abstraktionsausfwand in der Wahrnehmung vorgefunden werden kann. So kann nichts an zwei Orten gleichzeitig gedacht werden, ohne es verdoppeln zu müssen. In einer Verschachtelungshierarchie kann allem ein eindeutiger Platz zugeordnet werden. Das beruhigt. Andererseits scheint unser Denken nicht so organisiert zu sein. Es kann ja der räumlich-transitiven Ordnung durchaus Denkmuster gegenüberstellen, in denen “Welt” nicht einfach transitiv Verschachtelt gedacht werden muss. (wie wir sie z.B.aus der Unterscheidungstheorie, der Autopoiesistheorie, usw. kennen).
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Man kann daraus schließen, dass wir die Unterscheidung von Ganzem/Teile und ihre Implikationen, abhängig von unserer phänomenalen Wahrnehmung, in die Welt hineinsehen, hineindenken. Mit etwas Abstraktionsaufwand können wir auch in unserem Alltagsdenken Momente erleben, in denen wir mit einer strikt transitiven Strukturierung von Bewusstseinsinhalte nicht hinkommen. Bewusstseinsprozesse, mit denen wir unsere Lebenswelt konstruieren, erleben und uns handhabbar machen, müssen sozusagen höherdimensioniert sein. Z.B.: Eine Person kann als Mitglied verschiedener Organisationen gedacht werden, ohne das die Organisationen als solche in ihren Ablauf dadurch eine Schnittmenge bilden müssen. Oder klassisch: Wenn Bild A schöner ist als Bild B und Bild C schöner ist als Bild B, dann ist Bild C nicht unbedingt schöner als Bild A. Unsere Bewertung von Wahrnehmungen in sozialen Kontexten ist transitiv nicht oder nur sehr holprig nachvollziehbar. Unsere ganze soziale Lebenswelt, unsere ganze Kommunikation scheint kognitiv nur äusserst oberflächig, wenn überhaupt, als transitives Geschehen zu ordnen, bzw. kognitiv erfassbar zu sein.

Wie nah diese Unterscheidung von ineinander veschachtelten Ganzen und Teilen auch immer an eine physikalische “Realität” herankommt, sei dahingestellt, sie hilft uns ein Raster in die Welt hineinzuprojizieren, an dem wir uns ganz anständig orientieren können. Es lenkt aber vom Wesentlichen ein bischn ab, es lenkt von der Frage nach der Organisation ab, es lenkt davon ab, dass man sich "Systeme" als Prozesse vorstellen kann und führt schnell dazu, dass man sich ein Ganzes als bausteinartig aus Teilen zusammengesetzt vorstellt und dann nach Bob dem Baumeister verlangt, der das ja wohl gebaut haben muss. Demenstprechend wird es schnell naiv, wenn Menschen ihre Verwunderung ausdrücken, wie so viele Teile ausgerechnet an die richtige Stellen finden, um sich so zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Manche setzen dafür sogar einen Gott oder Schöpfer, also ernsthaft einen Baumeister ein, dem diese zusammenbauende Kraft, diese unsichtbare Hand zugeschrieben wird. Das führt dann sozusagen philosophisch auf seltsame und sozial beunruhigende Abwege. Gerade die Frage nach dem “Wie” und dem Prozesshaftem von Organisation, von “Systemen im allgemeinen” und den krassen Konsequenzen für unser Weltbild ist aber in der modernen biologischen und soziologischen Literatur auf äusserst aufregende Art und Weise in verschiedenen Fachbereichen beschrieben worden (vgl. auf jeden Fall: H. Maturana, N. Luhmann, D. Baecker oder H.v. Foerster, Stichwort “Autopoiesis”, zur Not hier: , besser in der Originalliteratur nachlesen.)